Chronik einer schlesischen Familie 1754 - 1945

Hofegärtner, Oelschläger, Schmiedemeister... nur Beispiele für Berufe, die unsere Vorfahren erlernten und ausübten.

Gut 250 Jahre lässt sich das Leben unserer Familie, anhand schriftlicher Zeugnisse zurückverfolgen und hat für den Familieninteressierten einige aufregende und überraschende Wege eingeschlagen.

Einige Vorfahren haben Haus und Hof erworben und haben in der Gemeinde Groß- Mohnau, im Herzen Niederschlesiens, bei Schweidnitz gelebt und gewirkt.

Wer aber waren diese Leute- unsere Vorfahren? Wie sah Ihre Arbeit und Ihr Alltag aus?

Das Schlesierland ist, oder war, Heimat vieler Verwandten und Vorfahren. Es ist das Land an der Oder, zwischen den Sudeten im Süden und der weiten Ebene im Norden, und hat eine wechselvolle Vergangenheit. Es war oft Ort, zahlreicher machtpolitischen Ereignisse und Kriege. Schon im 18.Jht. leidet die Bevölkerung unter diesen Einwirkungen. Und zuletzt sind die Grausamkeit und Folgen des letzten Weltkrieges Ereignisse, die gerade der schlesischen Bevölkerung und unseren Vorfahren und Verwandten in schmerzhafter Erinnerung bleiben, und die bis heute spürbar sind: Durch Flucht und Vertreibung verlor sich die Familie aus den Augen.

Es soll Aufgabe dieser Arbeit sein, die wechselvollen Wirkungen des schlesischen Heimatlandes mit der Entwicklung unserer Familie zu verbinden. Schritt für Schritt soll erhellt werden, wie die Familie Galle in Schlesien lebte und wie sie mit den Einflüssen, die auf das Land und die Bevölkerung einwirkten, umging.

Die Familie Galle

Das Leben unserer Familie lässt sich in der Gemeinde bis 1754 zurückverfolgen. Frantz Galle war als Hofegärtner nach Wernersdorf gezogen und hatte dort mit seiner Frau Johanna Groser ein Mädchen bekommen. Dies ist die erste schriftliche Erwähnung unserer Vorfahren im katholischen Kirchenbuch von Groß Mohnau (Nr. 29/1754).

Johanna ist gleich darauf verstorben und Frantz hat bald wieder geheiratet, denn bereits 1756 wird ihm von der Anna Regina geb. Simon, seiner zweiten Ehefrau, das Mädchen Anna Maria geboren.

Auch die nächsten zwei Kinder Frantz (jun.) und Anton Leopold werden in Wernersdorf geboren und in der Kirche zu Groß Mohnau getauft. Sämtliche Taufeintragungen sind im Kirchenbuch zu finden. Um 1760 ist die junge Familie nachweislich nach Kiefendorf auf den Hof gezogen, der der Familie und seinen Nachkommen über die nächsten 200 Jahre als Wohnstätte dienen sollte. (Ob der Hof schon damals aus Haupthaus, Stall und Scheunen bestand, so wie alte Fotos dies noch zeigen, ist nicht nachvollziehbar, aber festzustellen ist, dass seit diesem Jahr immer ein Angehöriger der Familie diese Hofstelle in Kiefendorf bewohnte und bewirtschaftete). Unser Stammvater Frantz bekam noch acht weitere Kinder deren Taufen alle in der Kirche zu Groß Mohnau verzeichnet wurden. Als Frantz 1790 starb, hatte er nicht weniger als zwölf Kinder gezeugt! Ob nun jedes dieser Kinder auch selbst eine Familie gründen konnte, mag hier allerdings bezweifelt werden, kann aber anhand von fehlenden Heirats- oder Begräbnisregistern dieser Zeit nicht mehr bis ins Detail verfolgt werden.

Klar zu verfolgen ist hingegen, dass der älteste Sohn Franz (jun.) den Hof in Kiefendorf übernahm. Er arbeitet als Freygärtner und Oelschläger und war mit Anna Elisabeth Beck verheiratet. Mit ihr hatte er nachweislich fünf Kinder, die zwischen 1786 und 1810 geboren wurden. Sein erster Sohn Frantz Joseph wird bereits als Freistellenbesitzer bezeichnet und in der Gemeinde als Gerichtsgeschworener, seit 1832 sogar als Gerichtsscholz, genannt. In der dritten Generation, seit unser Frantz in die Gemeinde umsiedelte, ist also einem Familienmitglied eine solch ehrenvolle Aufgabe übertragen worden. Das spricht für eine gesunde und feste Familienbande, die sich auch im Geschehen und Wirken der Ortschaft gegenüber bemüht und engagiert.

Zur Ortschaft

 Der kleine Ort Kiefendorf grenzt direkt an Floriansdorf und liegt auf halber Strecke an der Verbindungsstrasse, die von Schweidnitz nach Breslau führt. Heute ist der Ort zu Floriansdorf (Tworzyjanow) eingemeindet und selbst von der Landkarte verschwunden. Die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche liegt in Groß Mohnau (spätere Filialkirche in Wernersdorf) die evangelische bei Rogau- Rosenau. Amtsbezirk ist Floriansdorf , wechselt dann aber 1925 nach Stephanshain.

Die Familie Galle in Kiefendorf

Unser Vorfahre Franz Joseph Anton war nun der erste Sohn des Gerichtsscholzen Franz Joseph Galle. Er wurde am 26. August 1829 geboren und heiratet die Josefa Maria Theresia Schneider aus Groß Silsterwitz. Als ältester Sohn übernahm auch er den Hof als Freistellenbesitzer und zeugte mit seiner Ehefrau sieben Kinder. Folgendes ist  über die weiteren Lebenswege bekannt:

Agnes Anna Pauline (zweite Tochter nach Mathilde Francisca, die bereits mit drei Jahren starb) war erst mit einem Herrn Anders verheiratet, der aber bald darauf gestorben sein muss, denn am 28. 02. 1897 heiratet sie als „Witwe Anders geb. Galle“ den Bergmann August Seidel aus Altwasser. Am 15.Januar 1859 wird (als viertes Kind) Franz Joseph Galle geboren. Da sein zwei Jahre älterer Bruder Johannes Franz Augustin kurz nach der Geburt starb, übernimmt er als Stellenbesitzer den Hof und heiratet am 04.Mai 1884 die Pauline Ernestine Werner. Als sechstes Kind wird die Anna Francisca am 01.Dezember 1864 geboren. Sie heiratet am 26. Mai 1889 in der Kirche zu Groß Mohnau den Maurer Robert Kleinert. Als weitere Tochter ist noch am 13.Juli 1869 die Anna Martha geboren.

Dem Kiefendorfer Stellenbesitzer Frantz Joseph werden nun von seiner Ehefrau zehn Kinder geboren. Auf der kleinen Stammtafel sind alle bekannten Lebensdaten zu sehen.

Interessant ist hierbei, dass der älteste Sohn Gustav Galle die älteste Tochter der Familie Rösner (Emma) heiratet. Auf deren Hochzeit lernten sich dann auch der jüngste Sohn Paul Oscar Galle und die Jüngste Tochter der Familie Rösner (Martha  Margarete Elisabeth) kennen und heirateten auch später.

Auch fällt auf, dass nicht wie sonst üblich, der älteste Sohn, sondern hier genau verdreht, der jüngste Sohn den Hof übernimmt, obwohl er selbst studierte und eigentlich Lehrer war.

Diese Entwicklung ist nur nachvollziehbar, wenn man sie im Detail betrachtet:

Gustav als ältester Sohn wurde Schmied, später sogar Meister. Er pachtet sich sehr bald eine Schmiede in Teichenau und kaufte dann ein Anwesen in Ölse wohin er mit seiner Familie zog. Albert Franz sollte nach Erzählungen eigentlich Lehrer werden, weil er dies jedoch nicht wollte, ist er erst nach Breslau gegangen, um dort Kaufmann zu lernen und später nach Berlin, wo er auch sehr bald ein Kolonialwarengeschäft eröffnete.

Paul Robert als zweitältester Sohn wurde tatsächlich Landwirt, aber als er 1914, im Alter von 27 Jahren, starb, war nur noch der jüngste der vier Brüder- nämlich Paul Oscar auf dem Hofe, der eigentlich ja Lehrer war. Als auch der Vater Franz Joseph am 18. Sept. 1920 im Krankenhaus von Breslau starb, übernimmt er selbstverständlich den Hof.

Die Kriegszeit muss für unsere schlesischen Familienangehörigen eine Zeit der Furcht und des Schreckens gewesen sein, viel mehr als es hier in der Kürze erfasst werden könnte. Das ewige Wechseln der Frontlinie, die Flucht in die Wälder das Zurückkehren in die mehr und mehr zerstörten Dörfer. Schon von weitem sah man den brennenden Hof und die getöteten Tiere. Dann kamen die Besatzer, man war nicht mehr Herr auf dem eigenen Hof- man hatte zu tun was die anderen befahlen und dann im Juli 1945, kam die Vertreibung. Verklärt „Umsiedelung“ genannt war es grausam, Haus oder Hof verlassen zu müssen, nichts mitnehmen zu dürfen außer den Kleidern am Leibe, in langen Flüchtlingstrecks in eine ungewisse Zukunft zu gehen.

Gut 200 Jahre ist es nun her, dass ein Vorfahre in diese Gemeinde zog, gut 200 Jahre haben sie hier gelebt und gewirkt, haben Felder bestellt und Vieh gehalten – haben ihren Heimatort lieb gewonnen und Ihre Spuren hinterlassen. Es ist mit einem Mal alles vorbei. Verstreut in alle Bundesländer unseres Landes kann man die Nachfahren heute wieder entdecken.

Wo sind nun unsere Verwandten, was wurde aus jedem einzelnen und wo leben sie heute?

Welche Erinnerungen haben gerade die älteren Verwandten noch an die vergangenen Zeiten, und wie wird die Zukunft einer jeden Familie aussehen?

Dies soll nun ein Anfang sein, eine Familiengeschichte aufzuschreiben, die viele spannende und interessante, vielleicht lehrreiche Geschichten zusammenfügt. Und ein Aufruf an jeden, der sich einmal die Zeit nehmen will und Erinnerungen und Geschichten manchmal auch einzelne Anekdoten der Familie aufzuschreiben, und für die jüngsten Familienmitglieder und die noch folgenden festzuhalten. Es wird in der Gesamtheit daraus eine wunderbare und spannende Familiengeschichte.

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